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Identität, Mobilität und Tradition im Spannungsfeld bronzezeitlicher Populationen

Projektleitung des Forschungsschwerpunktes

Ass.-Prof. Mag. Dr. Alexandra KRENN-LEEB

Zuordnung des Forschungsschwerpunktes zu Fakultätsschwerpunkten

GESELLSCHAFT mit den FSP-Bereichen "Frauen- und Geschlechtergeschichte", "Wirtschaft und Gesellschaft"
RAUM
mit den FSP-Bereichen "Kulturen des euromediterranen Raumes und Altertumswissenschaften", "Österreich in seinem Umfeld"
MEDIEN mit dem FSP-Bereich "Materielle Kultur und Dokumentation"
WISSEN
mit dem FSP-Bereich "Wissenschaftsgeschichte - Wissenskulturen - Wissensgesellschaften"

Beschreibung des Forschungsschwerpunktes

Der Forschungsschwerpunkt „Identität, Mobilität und Tradition im Spannungsfeld bronzezeitlicher Populationen“ ist durch vier Forschungsansätze – ausgehend von den Ergebnissen zweier interdisziplinärer Forschungsprojekte beim Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank an frühbronzezeitlichen Fundkomplexen aus Österreich – gekennzeichnet, die innovative und methodisch neue Begegnungen mit bronzezeitlichen Gesellschaften eröffnen.

Ressourcenmanagement im Bereich der Erzversorgung

Umfassende archäometallurgische bzw. archäometrische Serienuntersuchungen an Metallobjekten aus den beiden größten Gräberfeldern der frühbronzezeitlichen Wieselburg-Kultur Hainburg/Teichtal und Mannersdorf am Leithagebirge/Reinthal-Süd erbrachten die überraschende Erkenntnis, dass anhand der gemessenen Bleiisotopenverhältnisse eine Herkunft der Erze aus dem Umfeld der heutigen Slowakei abzuleiten sei. Die bislang vermutete Erzversorgung vom Mitterberg kann hingegen für die frühbronzezeitlichen Metallartefakte der Wieselburg-Kultur ausgeschlossen werden. Mit dem Beginn der Mittelbronzezeit fand ein markanter Wechsel der Erzversorgung zum Mitterberg statt, der mit einem voll entwickelten Bergbau den offensichtlich neu formulierten Bedürfnissen der mittelbronzezeitlichen Gemeinschaften gerecht werden konnte.
Forschungsfrage ist die Ursachenerkundung für diesen doch einschneidenden Wechsel der Ressourcenbeschaffung aus dem Gebiet der heutigen Slowakei in das alpine Umfeld. Diese Umorientierung bedurfte eines deutlichen Wandels im Ressourcenmanagement und in den Kommunikationsstrukturen der frühbronzezeitlichen Identitätengemeinschaften im mittleren Donauraum, da dies höchstwahrscheinlich kein singuläres Phänomen der Wieselburg-Kultur darstellte. Ob sich auch im Ressourcenmanagement der Frühbronzezeit identitäts- bzw. mentalitätsbetimmte Strategien herausfiltern lassen, befruchtet spannungsgeladen die künftige Bronzezeitforschung.

Mobilitätsverhalten und grenzüberschreitende Kommunikation

Die ausgesprochen günstige Lage am Südende der Kleinen Karpaten nahe der Donau und des Mündungsgebietes der March ließ aufgrund intensiver ökonomischer und gesellschaftlicher Kontakte der Wieselburger und der Aunjetitzer Identitätengemeinschaften im Grenzgebiet zwischen den überregionalen Einflusssphären des Karpatenbeckens und den nordalpinen Regionen ein florierendes Kommunikationsnetzwerk entstehen. Die Problematik des Grenzraumes und der Koexistenz differierender Identitätengemeinschaften muss allgegenwärtig gewesen sein.
Strontium-Isotopieanalysen belegen sog. „Fremdindividuen“, was in den meisten Fällen mit dem archäologischen Befund übereinstimmt. Unterschiedliche Verhaltensmuster weisen aber auch darauf hin, dass die Zueignung von Beigaben fremder Herkunft leichter ermöglicht gewesen war als eine Anpassung an lokale Bestattungstraditionen. Ein Wechsel in eine andere Identitätsgruppe bedeutete ein „Fremdsein“ in einem neuen sozialen Umfeld mit anderen Kommunikationsstrukturen, sozialen Gefügen, gemeinschaftlich geübten Ritualen bis hin zu womöglich völlig anderen Versorgungsstrategien und -strukturen. Auch mit diesem Forschungsansatz wird „Neuland“ in der bronzezeitlichen Forschung beschritten und um weitere interdisziplinäre Ansätze erweitert.

Hainburg/Teichtal: Isotopieprobenentnahme im Juli 2009 (Photo: A. Krenn-Leeb/IUHA Wien)

Die Rolle von Geschlecht und Alter im Gesellschafts- und Sozialgefüge

Im Rahmen einer umfassenden wissenschaftlichen Bearbeitung der Ausstattungsmechanismen im Bestattungsritual sowie der Bevölkerungsbiologie werden genderspezifische Merkmale zu Identität, Mobilität und Tradition im Spannungsfeld frühbronzezeitlicher Populationen unter besonderer Berücksichtigung der Wieselburg-Kultur und ihrer Nachbarn im mittleren Donauraum neu fokussiert und diskutiert. Das Rollenbild der Geschlechter, die Nachweisbarkeit von geschlechtsspezifisch gesellschaftlichen und sozialen Äußerungen (eine geschlechtsspezifische Orientierung in der Grablege ist u. a. gegeben gewesen), die altersspezifisch wechselnde Rolle im Gesellschaftsgefüge sowie genderspezifisches Mobilitätsverhalten sind nur einige Aspekte, die derzeit anhand des hervorragenden Befundmaterials erarbeitet worden sind bzw. auch noch werden.
Exogamie als Prinzip zur Inzuchtvermeidung muss hier – als Beispiel eines aktuell verfolgten Forschungsansatzes – für die Frühbronzezeit und ihren doch sehr kleinen Siedelgemeinschaften ein gesellschaftlich und bevölkerungsbiologisch relevantes Thema gewesen sein. Ethnographische Untersuchungen belegen, dass Frauen durch „Heirat“ somit nachhaltig und langfristig in ein neues soziales Umfeld gelangt und daher unweigerlich gezwungen gewesen waren, neue Sozialbeziehungen aufzubauen. Die aktuellen Forschungen untersuchen neue Möglichkeiten zur Erfassung dieser Etablierung in eine neue Identitätengemeinschaft.
Ein weiterer genderspezifischer Forschungsansatz umfasst die Ausstattungsmuster von verstorbenen Mädchen und Frauen, die in manchen frühbronzezeitlichen Identitätengemeinschaften offensichtlich einmalig mit einer umfassenden Tracht ausgestattet worden waren, welche sich jedoch mit zunehmendem Alter reduzierte. Diese Reduktion dürfte direkt mit der Weiter- bzw. Abgabe von Bronzeobjekten verbunden gewesen sein.

Innovation und Tradition: identitäts- und mentalitätsstiftende Faktoren

Unterschiedliche Verhaltensmuster und Normativa belegen über die aktuellen Kultur(gruppen)einteilun-gen hinweg Identiätengemeinschaften, die im Verlauf mehrerer Generationen gewachsene Strukturen widerspiegeln. Der Faktor „Tradition“ übte vielfach innerhalb von Gemeinschaften eine identitätsstiftende Wirkung aus und trug in gewissem Maße zur Stabilisierung unterschiedlichster Gruppierungen bei. „Innovation“ bzw. die Einführung moderner/neuer Technologien, Verhaltensweisen, Rituale etc. bedeuteten Veränderung und repräsentierten teilweise massive Eingriffe in bestehende Strukturen. Dies mochte durchaus auch Unruhe, Widerstand und vielleicht sogar Instabilität innerhalb der Identitätengemeinschaften erzeugt haben.
Die frühbronzezeitlichen Befund- und Fundmaterialien im mittleren Donauraum weisen eine exzellente Qualität hinsichtlich einer aktuellen Studie zu innergesellschaftlichen sozialen Gefügen auf, sodass nicht nur identitätsstiftende Merkmale, sondern meines Erachtens sogar Mentalitäten erfasst werden können und sind.

Weiterführende Publikationen

  • A. KRENN-LEEB, Grenzräume im Spannungsfeld Identität, Mobilität und Kommunikation: Frühbronzezeitliche Identitätengemeinschaften im mittleren Donauraum. In: Th. Doppler, B. Ramminger und D. Schimmelpfennig (Hrsg.), Grenzen und Grenzräume? Beispiele aus Neolithikum und Bronzezeit. Fokus Jungsteinzeit. Berichte der AG Neolithikum 2, Kerpen-Loogh 2011 (2012), 257–276.
  • A. KRENN-LEEB, Zwischen Buckliger Welt und Kleinen Karpaten. Die Lebenswelt der Wieselburger-Kultur. In: A. KRENN-LEEB (Hrsg.), LEBENSWELTEN – Archäologische Spurensuche in der Region Hainburger Pforte/Römerland. Begleitbroschüre zur Sonderausstellung im Stadtmuseum Wienertor anlässlich der NÖ Landesausstellung 2011. Archäologie Österreichs 22/1, 2011, 11–26.
  • J. IRRGEHER, Ch. WEISS, A. KRENN-LEEB, M. Teschler-Nicola und Th. Prohaska, Lokal oder fremd? Anwendung von Strontium-Isotopensignaturen für die Erforschung von Mobilitäts- und Migrationsbewegungen in der Bioarchäologie am Beispiel des frühbronzezeitlichen Gräberfeldes von Hainburg/Teichtal. In: A. KRENN-LEEB (Hrsg.), LEBENSWELTEN – Archäologische Spurensuche in der Region Hainburger Pforte/Römerland. Begleitbroschüre zur Sonderausstellung im Stadtmuseum Wienertor anlässlich der NÖ Landesausstellung 2011. Archäologie Österreichs 22/1, 2011, 33–37.
  • A. KRENN-LEEB, Von der Phänomenologie zur Mentalitätengeschichte am Beispiel ritueller Praktiken in der Frühbronzezeit. In: U. L. Dietz und A. Jockenhövel (Hrsg.), Bronzen im Spannungsfeld zwischen praktischer Nutzung und symbolischer Bedeutung. Beiträge zum Internationalen Kolloquium am 9. und 10. Oktober 2008 in Münster. Prähistorische Bronzefunde XX/13, Mainz 2011, 163–176.
  • E. DUBEROW, E. PERNICKA und A. KRENN-LEEB, Ostalpen oder Westkarpaten: frühbronzezeitliche Metallströme in der Wieselburger Kultur. In: J. Cemper-Kiesslich, F. Lang, K. Schaller, Ch. Uhlir und M. Unterwurzacher (Hrsg.), Primus Conventus Austriacus Archaeometriae, Scientiae Naturalis Ad Historiam Hominis Antiqui Investigandam MMIX. Tagungsband zum Ersten Österreichischen Archäometriekongress 15.–17. Mai 2009. ARCHAEO Plus. Schriften zur Archäologie und Archäometrie an der Paris-Lodron-Universität Salzburg 1, Salzburg 2010, 54–55.
  • E. DUBEROW, E. PERNICKA und A. KRENN-LEEB, Eastern Alps or Western Carpathians: Early Bronze Age Metal within the Wieselburg Culture. In: T. K. Kienlin and B. W. Roberts (Eds.), Metals and Societies. Studies in honour of Barbara S. Ottaway. Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie 169, Bonn 2009, 336–349.
  • A. KRENN-LEEB, Die Frühbronzezeit im Burgenland – Spannungsfeld des gesellschaftlichen Wandels zwischen Tradition und Innovation. In: J. Tiefenbach (Hrsg.), Die Bernsteinstraße – Evolution einer Handelsroute. Katalog zur Burgenländischen Landesausstellung in Eisenstadt vom 11. April bis 11. November 2008. Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland 123, Eisenstadt 2008, 65–70.
  • A. LEEB, Überblick über die Chorologie, Typologie und Chronologie der Wieselburgkultur. 100 Jahre Forschungsstand. Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland 75, 1987, 231–283.

Projektbezogene Kooperationen

  • Curt-Engelhorn-Zentrum Mannheim/Abteilung Archäometrie
  • Eberhard-Karls-Universität Tübingen/Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters
  • Slowakische Akademie der Wissenschaften/Archäologisches Institut Nitra
  • Naturhistorisches Museum Wien/Anthropologische Abteilung
  • Naturhistorisches Museum Wien/Prähistorische Abteilung
  • Naturhistorisches Museum Wien/1. Zoologische Abteilung/Archäologisch-Zoologische Sammlung
  • Universität für Bodenkultur/Department Chemie
  • ASINOE Archäologisch-Soziale Initiative Niederösterreich
  • AS – Archäologie Service
  • Universität Wien/Institut für Ur- und Frühgeschichte
  • Bundesdenkmalamt/Abteilung für Bodendenkmale
  • NÖ Landesmuseum/Museum für Urgeschichte Asparn/Zaya
  • Burgenländisches Landesmuseum
  • VIAS Vienna Institute for Archaeological Sciences/Archäometallurgie und Rasterelektronenmikroskopie
  • VERA Vienna Environmental Research Accelerator/Isotopenforschung
  • Österreichische Akademie der Wissenschaften/Prähistorische Kommission
  • Museum Mannersdorf am Leithagebirge
  • Wienertormuseum Hainburg

© Für den Inhalt dieser Seite verantwortlich: A. Krenn-Leeb/IUHA Wien 2013

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